Zeichnen zur Zeit

Katrin Ströbel

Aus Marokko bringt sie 2006 Künstlergespräche mit, die sie assoziativ und unkonventionell bebildert (Marokkanische Gespräche), aus dem Senegal schreibt sie 2008 höchst eigenwillige Postkartengrüße (bitim-réew, Terre étrangere/Fremdes Land), das multi-kulturelle Klima von Paris erinnert sie 2010 auf hauchdünnen, bunten Plastiktüten, wie sie auf dem Markt verwendet werden und beschriftet sie mit sprechenden Piktogrammen (import export). Reisen ist für Katrin Ströbel eine Frage der Wahrnehmung, Unterwegssein heißt für sie Sehen! Oder gibt es einen anderen Grund, sich in die Fremde zu begeben? Die klassischen Tugenden einer Bildungsreise erfahren eine Verschärfung. Die durchaus egozentrischen Kategorien des Lernens, geraten ins Wanken. Der Ortswechsel in einen anderen Kulturkreis (schon für Frankreich gilt das) rüttelt an den eingeübten Paradigmen, die Fremde fordert ihre eigenen Rechte, die Darstellungsmöglichkeiten müssen neu ausgerichtet werden. Hinzu kommt der anschließende Transport in die Kontexte Zentraleuropas. Beides, - der (produktive) Schock der anderen Umgebung und die (notwendige) Übersetzung in die eigene Sprache formen das Ergebnis mit. Es gilt einen interkulturellen common sense zu finden, Lösungen, die mit wenigen Winken hier und dort zu verstehen sind; möglicherweise mit dem Blick auf strukturalistische Invarianten. Die Künstlerin baut Brücken, der wortwörtliche Grenzgang gilt auch für die benutzten Medien. Ihre Arbeit schneidet Konzeptionelles, sie spielt mit ornamentalen Lösungen, wenn sie etwa der konträren Himmelsrichtung der arabischen Schrift auf die Spur kommen will. Da reicht manchmal das traditionelle Handwerkszeug nicht mehr aus, und so bewegen sich in Ströbels Video das arabische Wort „shouf“ und dessen deutsche Übersetzung „schau“ aufeinander zu (2007). Wenn aber bereits die Schreibbewegungen so gegenläufig sind, wie geht das erst, wenn Inhalte, soziale Umfelder oder einfach nur Lebensgewohnheiten verhandelt werden?

Trotz eines selbstverständlichen medialen Universalismus, zu dem neben der Arbeit mit Video, der Computer genauso wie die Fotografie gehört, bildet die Zeichnung so etwas wie die „Baseline“ (KS) ihrer Kunst, als die offenste aller Möglichkeiten. Mit Blick auf das Unterwegssein, wäre Zeichnung an sich Mittel des Transports und ist dabei gleichzeitig so transportabel wie nur denkbar. Das Arbeitsinstrument Zeichnung lässt sich mühelos in andere Bereiche verlängern, ohne dabei konkurrierend zum Eigentlichen aufzutreten. Es kommt selbstredend zu einem Diskurs der Mittel, der seine exterritorialen Hinweise mit der ihm eigenen Autonomie auch beatmet. Dafür muss Ströbel nicht unbedingt auf einen anderen Kontinent reisen. Unterwegs in den medialen Möglichkeiten von Zeichnung, arbeitet sie intensiv mit Schrift, wobei es gelegentlich zu einem tautologischen Kreisen kommt, wenn sie das leicht daher kommende „Words don’t come easy“ aus einem erfolgreichen Popsong als Aquarell in eine farbig schillernde Fraktur bannt, deren flüssiger Rest in schönen Linien abwärts läuft. Schrift kann als Bild die Mühen der Sprache auf den Punkt bringen, ohne redselig zu sein und dabei gleichzeitig noch um sich selbst kreisen. Stichwort „Schrift als Schrift“ (KS) Gerade in solchen Wortbildern kommt es bei Ströbel immer mal wieder zu sinnlichen Verdichtungen. In „Les Bateaux“ hält sie die Namen der Schiffe fest (und zwar in der gesehen Originaltypographie), die 2009 auf der Rhone bei Valence vorüberziehen. Solche und andere Funde sind Teil von Ströbels „Archäologie“, die Spuren von heute aufzeigen wollen, als gelte es, Zeugnisse einer fernen Vergangenheit zu sichern. Dafür begibt sie sich schon mal nach Lima, aber auch in Stuttgart hört diese Archäologie des Alltags nicht auf. Den Mordopfern des NSU, die in der Presse allenfalls in unansehnlichen Passfotos erscheinen, als handele es sich um Fahndungsfotos, setzt sie in empfindsamen Tuschzeichnungen ein menschliches Antlitz; als Korrektur einer gedankenlosen Wahrnehmung, die die Täter in den Mittelpunkt stellt, aber sich für die Opfer nicht zu interessieren scheint.

Selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit ist die theoretische Auseinandersetzung damit. Katrin Ströbel hat nicht nur Kunst studiert sondern auch Germanistik; ihre Dissertation in Kunstwissenschaft an der Universität Marburg kreist um „Wortreiche Bilder. Zum Verhältnis von Text und Bild in der zeitgenössischen Kunst“ und wird demnächst in der Druckversion erscheinen. Das (die umfassende Kenntnis der Problematik) ist praktisch und hinderlich zugleich, fördert aber das kritische mediale Bewusstsein, zumal Ströbel Wissenschaft und Kunst zwar gemeinsam praktiziert, aber letztlich in einem produktiven Abstand zu halten weiß. Zur reflektierten Durchdringung und zur Faktizität des Reisens gehört die Tatsache, dass Katrin Ströbel ab Herbst 2013 eine Professur für Zeichnung in Nizza an der Villa Arson antreten wird.

Reinhard Ermen

Text veröffentlicht in: Kunstforum international,
Band 223, 2013, Titel: Zeichnen zur Zeit, S. 228

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